Psychische Belastungen zu Reha-Beginn und Reha-Ende bei den PatientInnen des RehaKlinikums Bad Säckingen in den Jahren 2009-2014 (n=15.763)

Psychische Belastungen zu Beginn und am Ende der Reha-Maßnahme in einer orthopädisch-rheumatologischen Rehabilitationsklinik:

Vollerhebungen in den Jahren 2009-2014 (n=15.763)

 

Daniel Schlittenhardt (1), Nikolaus Gerdes (1,2), Dieter Hauptvogel (1), Ulrich Knüttel (1), Anna Schiel (1), Eckhard Schniz (1); Jürgen Wild (1)

 

(1) RehaKlinikum Bad Säckingen

(2) Hochrhein-Institut am RehaKlinikum Bad Säckingen

 

Hintergrund

Das Leitthema des Reha-Kolloquiums 2015 hat uns veranlasst, die umfangreichen Daten, die im RehaKlinikum Bad Säckingen (RKBS) aus den Patientenbefragungen der letzten sechs Jahre vorliegen, unter folgenden Fragestellungen zu analysieren:

–     Zeigen sich im RKBS ähnliche Prävalenzmuster psychischer Belastungen wie in den vorliegenden Untersuchungen aus orthopädischen Reha-Kliniken?

–     Gibt es bei den psychischen Eingangsbelastungen systematische Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie zwischen den Altersgruppen?

–     Zeigt sich in den Jahren 2009-2014 ein Trend zur Zunahme psychischer Belastungen?

–     Welche Veränderungen des psychischen Befindens zeigen sich am Ende einer ‚normalen’ orthopädischen Rehabilitation?

 

Material und Methoden

Im RKBS wird seit Mitte 2008 routinemäßig bei allen Patienten kurz vor Reha-Beginn und zum Reha-Ende der Patientenfragebogen „Indikatoren des Reha-Status“ (IRES-3; Bührlen, Gerdes & Jäckel 2005) erhoben. Der Fragebogen erfasst mit 144 Einzelitems die Bereiche „Symptome Muskuloskelettales und Herz-Kreislauf-System“, „Schmerzen“, „Aktivitäten im Alltag“, „Funktionsfähigkeit im Beruf“, „Psychisches Befinden, „Soziale Integration“, „Gesundheitsverhalten“ und „Krankheitsbewältigung“ sowie demographische Angaben. Die Daten werden in der Klinik zeitnah in das Programm IRES-online eingegeben und automatisch zu einem „Patientenprofil“ ausgewertet, das meistens bereits zur Aufnahmeuntersuchung vorliegt und – gewissermaßen als „Laborflöte für den subjektiven Bereich“ – vor allem dazu dient, die Selbsteinschätzung der Patienten systematisch in die Eingangsdiagnostik einzubeziehen.

Der Bereich des „Psychischen Befindens“ enthält die Skalen „Depressivität“, „Ängstlichkeit“, „vitale Erschöpfung (burn-out)“ und „Selbstwertgefühl“. Über einen Vergleich mit der Normstichprobe des IRES (repräsentativ für die Bevölkerung von 30–70 Jahren) können alle Skalen den folgenden Schweregraden zugeordnet werden: Skalenwerte > 25. Perzentil in der Normstichprobe werden als „unauffällig“, 11.-25. Perzentil als „auffällig; 2.-10. Perzentil als „sehr auffällig“ und < 2. Perzentil als „extrem auffällig“ interpretiert. In der normalen Bevölkerung liegen damit nur die „schlechtesten“ 2% im Bereich „extrem auffälliger“ Werte.

Den folgenden Auswertungen liegen die IRES-Daten des RKBS aus dem Zeitraum Januar 2009 bis September 2014 zugrunde. Die Daten stellen praktisch eine Vollerhebung aller Patienten des RKBS in diesem Zeitraum dar und repräsentieren insgesamt 15.763 Patienten.

 

Ergebnisse

Eingangsbelastungen:

Zu Reha-Beginn wiesen insgesamt 31,1% der Patienten (Männer 22,9%; Frauen 42,6%) im Summenscore „Psychisches Befinden“ Belastungen auf, die als „extrem auffällig“ einzustufen sind; weitere 27,4% (Männer 28,1%; Frauen 26,5%) waren dem Schweregrad „sehr auffällig“ zuzuordnen. Bei den Männern lagen demnach etwa die Hälfte und bei den Frauen sogar zwei Drittel in einem Belastungsbereich, der in der normalen Bevölkerung maximal bei 10% vorkommt. Bei den Einzelskalen zeigte die Skala „vitale Erschöpfung“ die höchsten (ähnlich wie der Summenscore) und die Skala „Selbstwertgefühl“ die niedrigsten Eingangsbelastungen (Männer= 31,7% und Frauen = 37,8% mit „extrem“ bzw. „sehr auffälligen“ Werten).

Zwischen den Geschlechtern zeigten sich bei den Frauen auf dem Summenscore und allen Einzelskalen des psychischen Befindens hochsignifikant höhere Eingangsbelastungen als bei den Männern (p < .001). In Bezug auf das Alter ergab sich für den Summenscore eine U-förmige Verteilung: Von den Patienten unter 30 Jahren (MW=6,05) sank der Mittelwert stetig bis zu den 59-Jährigen (MW= 5,35) ab, um dann wieder anzusteigen auf bis zu 6,24 bei den über 69-Jährigen.

Im Verlauf der Jahre 2009-2014 wiesen die Mittelwerte des Summenscores in der Gesamtstichprobe eine leicht ansteigende Tendenz auf, die – entgegen den Erwartungen – eine Abnahme der Belastungen bedeutet, aber mit einem Minimum von 5,39 (2009) und einem Maximum von 5,53 (2014) nur sehr gering ausgeprägt war.

 

Veränderungen bei Reha-Ende:

Zu Reha-Ende zeigten sich auf dem Summenscore und allen Einzelskalen des Psychischen Befindens hochsignifikante Verbesserungen (p < .001). Die Effektstärke der Veränderung (berechnet als standardized response mean SRM) betrug beim Summenscore SRM=0.76 und lag damit nur knapp unter dem Wert von 0.8, ab dem die SRM-Werte üblicherweise als „starke“ Effekte interpretiert werden. Bezogen auf die Einzelskalen ergaben sich folgende SRM-Werte: Depressivität: 0.81; Ängstlichkeit: 0.58, vitale Erschöpfung: 0.90; Selbstwertgefühl: 0.38. Die Eingangsbelastungen des psychischen Befindens haben sich damit insgesamt mit „mittleren“ bis „starken“ Effektstärken verbessert. Die guten Verbesserungen im psychischen Bereich schlagen sich auch im Gesamtscore des IRES nieder, der sich mit einer Effektstärke von SRM= 0.98 verbessert hat.

 

Diskussion

Der IRES erhebt nicht den Anspruch, ein Instrument zur fachspezifischen Psychodiagnostik darzustellen; er wird im RKBS eingesetzt, um die behandelnden ÄrztInnen schon bei der Aufnahmeuntersuchung auf bestehende starke Auffälligkeiten im psychischen Bereich (ebenso wie bei Funktionseinschränkungen im Alltag, Belastungen am Arbeitsplatz, Problemen bei der Krankheitsbewältigung etc.) hinzuweisen und ggf. eine fachspezifische Diagnostik einzuleiten.

Die Prävalenz von psychischen Belastungen der Patienten liegt im RKBS in einer ähnlichen Größenordnung wie in anderen vorliegenden Studien (Härter et al. 2007 geben für orthopädische Reha-Patienten eine Quote psychischer Belastungen von 39,9% an; vgl. auch: DRV–Bund 2011). Die Geschlechtsunterschiede im Bezug auf psychische Belastungen sind in unserer Stichprobe besonders stark ausgeprägt, was wahrscheinlich an dem hohen Anteil von Fibromyalgie-Patientinnen im RKBS liegt (30-40% aller Patientinnen).

Die guten Verbesserungen zu Reha-Ende im psychischen Bereich weisen darauf hin, dass auch in einer ‚normalen’ orthopädisch-rheumatologischen Klinik mit multiprofessionellem Reha-Team (einschließlich 3 Vollzeitstellen in der psychologischen  Abteilung) und multimodalen Therapiekonzepten nicht nur im somatischen, funktionalen, und edukativen, sondern auch im psychischen Bereich mittlere bis starke Effekte erzielt werden können.

 

Schlüsselwörter

orthopädische Rehabilitation, Eingangsbelastungen, psychische Komorbidität, Reha-Effekte

 

Literatur

Bührlen B, Gerdes N, Jäckel WH (2005): Entwicklung und psychometrische Testung eines Patientenfragebogens für die medizinische Rehabilitation (IRES-3). Die Rehabilitation 44: 63-74

DRV Bund (2011): Psychische Komorbidität – Leitfaden zur Implementierung eines psychodiagnostischen Stufenplans in der medizinischen Rehabilitation.

Härter M, Baumeister H, Bengel J (2007): Psychische Störungen bei Rehabilitanden mit einer somatischen Erkrankung. In: M. Härter, H. Baumeister & J. Bengel (Hrsg): Psychische Störungen bei körperlichen Erkrankungen. (S. 55-69). Heidelberg: Springer

 

Kontaktadresse des Erstautors:

 

Dr. med. Daniel Schlittenhardt
RehaKlinikum Bad Säckingen
Bergseestr. 61
79713 Bad Säckingen

Tel.: 07761 554-4446
Fax: 07761 554-329

E-Mail: daniel.schlittenhardt@rkbs.de